Kompetenzorientierte Personalentwicklung

Personalentwicklung als klassische Unternehmensfunktion hat in den letzten Jahren zunehmend ein Image-Problem bekommen. Im besten Fall wurde sie noch als Verwaltungs- und Organisationsabteilung für Mitarbeiterschulungen verstanden, im schlimmeren Fall als menschenfreundlicher Luxus begriffen, den man bei der nächsten Krise auf ein Minimum zurückfährt. Zudem sind andere Bereiche wie Wissensmanagement und Kompetenzmanagement entstanden, die sich ebenfalls mit dem individuellen und organisationalen Lernen und so der Kerndomänen der Personalentwicklung beschäftigen, ohne dass sie unter deren Zuständigkeit fallen.

Personalentwicklung baut darauf auf, dass man Lernprozesse steuern kann und soll. Doch klassische Konzeptionen geraten hier schnell an ihre Grenzen:

  • Sie können nicht mithalten mit der geforderten Agilität der Geschäftsprozesse, in der die Anforderungen an Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeiter sich immer schneller verändern.
  • Sie kommen immer weniger zurecht mit der Individualisierung der Bildungspfade der einzelnen Mitarbeiter, die eben nicht mehr einem Karrieremodell entsprechen, sondern durch lebenslange Umstiege gekennzeichnet ist.
  • In ihnen kommt das informelle Lernen von eigenmotivierten Mitarbeitern praktisch nicht vor, das allerdings nach aktuellen Studien bis zu 80% des Lernens in Unternehmen ausmacht.

Dies führt dazu, dass die in Unternehmen praktizierten Personalentwicklungsmaßnahmen wie standardisierte Präsenzschulungen, aber auch standardisierte E-Learning-Kurse, vielfach nicht mehr effizient sind. Sie produzieren oft genug träges Wissen, das zwar nach erfolgreichem Abschluss der Schulung reproduziert werden kann, aber nicht angewandt wird bzw. werden kann. Zudem werden Mitarbeiter auf Schulungen geschickt, ohne dass wirklicher Bedarf besteht – weder akut noch in Beziehung auf die zukünftige Unternehmensentwicklung. All dies ruft nach einem „Neudenken“ der Personalentwicklung.

Für dieses „Neudenken“ bieten sich Kompetenzen als zentrale Abstraktion an. In vielen bildungsrelevanten Bereichen haben sich Kompetenzen als Instrument zur Beschreibung dessen, was ein Mitarbeiter (und ein Unternehmen) kann und können muss bewährt.

Dabei soll eine Kompetenz verstanden werden als

  1. ein Bündel von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnissen, die
  2. relevant für die berufliche Leistung und
  3. hinreichend messbar/beobachtbar sind.

Kompetenzorientierte Personalentwicklung übernimmt die Grundidee des Kompetenzmanagements: den systematischen Umgang mit den Mitarbeiterkompetenzen und ihre an Unternehmenszielen ausgerichtete Entwicklung. Durch die durchgängige Konzentration auf Kompetenzen (sowohl auf Unternehmens- als auch auf Mitarbeiterebene) ermöglichen Kompetenzmanagementansätze eine größere Systematik bei der Personalentwicklung. Zentrales Instrument ist ein Kompetenzkatalog, der ein kontrolliertes Vokabular für Kompetenzen festlegt, das überall zur Anwendung kommt, wo Kompetenzen eine Rolle spielen. Dieses Vokabular umfasst sowohl einen eindeutigen Bezeichner der Kompetenz, als auch eine Definition der Bedeutung des jeweiligen Eintrags. Die einzelnen Kompetenzen stehen zusätzlich in Beziehung zueinander.

Der wichtigste Anwendungsbereich eines Kompetenzkataloges sind das Anforderungsprofil (oder auch Soll-Profil) und das Kompetenzprofil (Ist-Profil) eines Mitarbeiters. Im Anforderungsprofil wird festgelegt, was für die zugeordnete Rolle, die Organisationseinheit oder auch die Prozessaktivität an Kompetenzen mit welchem Kompetenzniveau benötigt wird, wobei zu differenzieren ist zwischen unbedingt erforderlichen Kompetenzen und einer gewünschten mittelfristigen Entwicklungsrichtung. Im Kompetenzprofil ist festgehalten, über welche Kompetenzen der Mitarbeiter verfügt. Anforderungsprofile und Kompetenzprofile sind kein Selbstzweck – anders als in vielen Fällen die sog. „Stellenbeschreibungen“. Sie gewinnen ihren Nutzen erst daraus, dass man sie für die Planung und Durchführung von Personalentwicklungsmaßnahmen einsetzt. Auf der operativen Ebene einer kompetenzorientierten Personalentwicklung (vgl. Kompetenzmanagement-Modell) werden auf der Basis des Kompetenzkataloges die Ist-Pro¬file erhoben (Diagnostik), was durch Selbstbewertung oder Fremdbeobachtung erfolgen kann und in der Regel im Rahmen von Mitarbeitergesprächen überprüft werden sollte. Durch Abgleich dieser Ist-Profile mit den Anforderungsprofilen ergeben sich die Kompetenzlücken (Lücken- oder Gap-Analyse). Für diese Lücke werden zusammen mit dem Mitarbeiter Personalentwicklungsmaßnahmen ausgewählt, an denen dieser teilnimmt. Durch die Lückenanalyse sind dabei die Kriterien für Auswahl von Maßnahmen für alle Beteiligten transparent. Durch eine Überprüfung des Lernerfolges nach der Teilnahme z.B. an einer Weiterbildungsmaßnahme kann eine erste Einschätzung über den Kompetenzerwerb getroffen werden, der allerdings erst im Rahmen der Anwendung in den Arbeitsprozessen hinreichend beobachtet werden kann.

Allerdings muss neben diesen operativen Entwicklungsprozessen auch eine strategische Ebene betrachtet werden, deren Prozesse mit der operativen Ebene verknüpft sein müssen. Denn kompetenzorientierte Personalentwicklung kann nur erfolgreich sein, wenn nachhaltig sichergestellt ist, dass der Kompetenzkatalog die jeweils relevanten Kompetenzen auch enthält und Anforderungs- und Kompetenzprofile aktuell gehalten werden. Auf der strategischen Ebene werden die Kernkompetenzen (wie sie von der normativen Ebene definiert wurden) heruntergebrochen und im Rahmen der Kompetenz-identifikation und -modellierung in den Kompetenzkatalog eingepflegt. Auf dessen Basis werden dann die Anforderungsprofile für Rollen oder Geschäftsprozessaktivitäten aufgestellt. Dieser Prozess kann wiederum da¬zu führen, dass neue Kompetenzen in den Katalog aufgenommen werden müs¬sen, was auch auf der Basis von Rückmeldungen aus der operativen Ebene geschehen kann. Dabei ist wichtig, dass auch bewusst in regelmäßigen Abständen die Revision von Katalogen und Profilen gesucht und dies auch aus Organisationssicht als gewollt kommuniziert wird.

Auszug aus:

Christine Kunzmann, Andreas Schmidt:
Kompetenzorientierte Personalentwicklung: Auf dem Wege zum Lernen bei Bedarf
In: ERP Management, Nr. 3/2007, S. 38-41
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